Jedes Bauwerk mit Denkmalwert steht in dem Spannungsfeld des Bewahrens und des Anpassens an aktuelle Bedürfnisse der Nutzer. Der Umbau der St. Hedwigs- Kathedrale stellt hierbei keine Ausnahme dar. Hans Schwippert wird von der Denkmalpflege eine „atemberaubend moderne, expressive Neuschöpfung des Innenraums von außerordentlichem künstlerischen Wert“ bescheinigt. Der durch die Öffnung ermöglichte Verweis auf das Fundament der Kirche, und die Schaffung einer vertikalen Dimension des Raumes wird als der zentrale und nicht zu verändernde Aspekt des Raumes festgestellt.
Allerdings entspricht diese Raumkreation nicht den liturgischen Anforderungen des 2. Vatikanischen Konzils. Der Altar ist nicht von allen Seiten zugänglich, das Versammeln um den Altar ist nicht möglich. Die Gemeinde sitzt nicht dem Altar zugewandt und zwischen der zweigeteilten Gemeinde, die vis-a-vis über den Graben feiert, ist die visuelle Teilnahme am Gottesdienst nur eingeschränkt möglich. Auch ermöglicht die Krypta keinen geschützten Raum für das stille Gebet, da die Decke fehlt und die Einsehbarkeit von oben der stillen Einkehr entgegensteht.
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Wir behaupten Denkmalpflege und Nutzbarkeit schließen sich bis zu einem gewissen Grade aus. Die vertikale Raumentwicklung widerspricht der gemeinsamen Feier des Gottesdienstes, der stillen Einkehr und der Lage des Altars im Raum. Das vertikale Raumkontinuum ist zwar eine konzeptionelle Neuschöpfung, die in der Kirchbaugeschichte ihresgleichen sucht, allerdings erschwert dieses komplexe räumliche Beziehungsgeflecht von Oben und Unten die Nutzbarkeit in ganz vielen Situationen.
Aus der Abwägung der Vor- und Nachteile haben wir uns entschieden den Boden der St. Hedwigs- Kathedrale zu schließen. Der Gottesdienstraum bekommt dadurch eine große Selbstverständlichkeit und alle Anforderungen die aus dem Zweiten Vatikanischen Konzil an den Gottesdienstraum gestellt werden, sind zu erfüllen. Auch der Raum für die Weihekandidaten, die vielfältigen Handlungsalternativen im gottesdienstlichen Geschehens sind mit der Vergrößerung des Gottesdienstraumes gegeben. In der Abwägung zwischen Liturgie und Denkmal muss zu allererst einer liturgiegerechten Raumdisposition Rechnung getragen werden.
Der Hauptkirchraum wird behutsam restauriert, die Farbigkeit in Abstimmung mit der Denkmalpflege eingesetzt und die Laterne bauen wir in heutiger Formensprache in Anlehnung an die historischen Vorbilder wieder auf. Akustische und lichttechnische Maßnahmen werden nach aktuellem Stand der Technik verbaut ohne das optische Erscheinungsbild der Kathedrale zu beeinflussen. Die Sakristei wird mit Anschluss an das Lichtenberghaus in das Untergeschoss gelegt, damit die Chorkapelle als Taufort wieder als sakraler Raum benützt werden kann. Hier ist auch geplant den Tabernakel zu verorten. Das stille Gebet des Einzelnen erfährt hier ausreichend Schutz. Der Chor bekommt einen neuen Ort, der sowohl aus akustischen Gründen als auch aus Gründen der Kommunikation mit der Orgel dem bestehenden Ort vorzuziehen ist.
Der Zugang zur Winterkirche / Krypta erfolgt über den Vorraum der St. Hedwigs- Kathedrale. Zwei einläufige Treppen münden in einem Raum der zu den Kapellen und der Krypta leitet. Der Raum der Krypta erinnert an Frühchristliche Kreuzessymbolik und markiert den Raum als eine zeitgenössische Intervention. Durch den neuen Aufzug und den eleganten behindertengerechten Zugang vom Bebelplatz ist die gesamte Kirche stufenlos erlebbar.
Uns ist besonders wichtig zu betonen, dass diese Bauaufgabe keine Auffrischung eines Museums darstellt. Auch wenn die interessanten Raumzusammenhänge aus der Nachkriegsmoderne verloren gehen, haben doch die liturgischen Anforderungen absolute Priorität und eine Kombination aus beiden ist nicht vorstellbar.
„Um das heilige Mal des Herrn zu feiern, braucht man einen nicht allzu großen Raum von gutem Ausmaß, in seiner Mitte einen Tisch und darauf eine Schüssel mit Brot und einen Kelch mit Wein. Den Tisch kann man mit Kerzen schmücken und mit Sitzen für die Gemeinde umgeben. Das ist alles, Tisch, Raum und Wände bilden die einfachste Kirche. Der Tisch das ist die tragende Erde, die sich zur Feier erhebt. Die (…) Gemeinde sitzt oder steht um den Tisch, und der Herr in der Mitte, wie er versprochen hat, wo einige sich in seinem Namen versammeln, da werde er mitten unter ihnen sein.“
Rudolf Schwarz „Vom Bau der Kirche“